Obststand

Insektizide im Obst – was hat das „Verbot“ von drei Neonicotinoiden verändert?

Endlich wieder ein Blog-Artikel! Nach viel zu langer Pause. Die letzten Jahre waren supervoll mit beruflichen und persönlichen Projekten. Meine Arbeit als Pestizidexperte führt mich mehr und mehr auf das „Feld“ und ich betreue u.a. Reduktionsprogramme in Ecuador, Kolumbien und Spanien. In Spanien (Zitrusfrüchte) erreichen wir drastische Reduktionen gerade beim Insektizideinsatz. Hochgefährliche Neonicotinoide, Organophosphate oder Pyrethroide kommen nicht mehr zum Einsatz und die Artenvielfalt hat stark zugenommen. Bei den Erdbeeren bin ich auch sehr optimistisch. Eine neue kostenlose APP „Pesticides & Alternatives“ (PlayStore & iTunes) wurde für die ISEAL Alliance entwickelt, viele andere Projekte abgewickelt, Publikationen (unter anderem über die dänische Pestizidsteuer und über Artenschutz und Pestizidreduktion) geschrieben. Insgesamt viel Arbeit.

Jetzt wieder im Schreibmodus, mit neuen Daten. Die Daten vom BVL für die Jahre 2016 und 2017 sind aufbereitet in der Datenbank (die APP wird bald aktualisiert). Über 40 Millionen Analysedaten auf Pestizide und 7,4 Millionen auf andere Kontaminanten warten auf die Auswertung.

Insektizide in aller Munde

Insektensterben bzw. der allgemeine Verlust der Biodiversität sind gerade auf der politischen Tagesordnung. Pestizide, insbesondere Insektizide aus Gruppe der Neonicotinoide werden für das Artensterben im ländlichen Raum verantwortlich gemacht. Dieser Artikel widmet sich deshalb Insektiziden im Freilandobst aus der EU-Produktion.

Aufgrund des Zusammenhangs zwischen dem Bienensterben und bestimmten Insektiziden wurden vor gut 6 Jahren (Mai 2013) auf EU-Ebene Anwendungsbeschränkungen für drei hochgefährliche Insektizide beschlossen – diese traten am 01.12.2013 in Kraft.

Saatgut-, Boden- und Blattbehandlungen mit den drei Neonicotinoiden: Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid wurden eingeschränkt. Für verschiedene Kulturgruppen sind die Einschränkungen unterschiedlich stark. Anwendungen im Getreide sind (mit Ausnahmen) praktisch verboten. Für Kartoffeln und für den Anbau in Gewächshäusern gibt es keine Einschränkung. Viele Gemüsekulturen sind von der Beschränkung also nicht betroffen. Für Obst im Freiland wurde die Zeit der Anwendung auf die Zeit nach der Blüte verschoben (siehe Details in Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 und Durchführungsverordnung (EU) 2018/783).

Ob und welche Auswirkungen diese Einschränkung auf Rückstände im Freilandobst haben, ist Gegenstand dieses Artikels. Es gibt zwei denkbare Möglichkeiten:

  1. Es gab keine Veränderung, weil die zeitliche Verschiebung der Anwendung keine Änderung erfordert.
  2. Betriebe wechselten zu anderen Insektiziden.

In meiner Erfahrung ersetzen LandwirtInnen nach einem Verbot/einer Beschränkung eines Wirkstoffes diesen mit anderen Wirkstoffen. Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid können theoretisch ersetzt werden mit:

  1. anderen Neonicotinoiden wie Acetamiprid oder dem hochgiftigen Thiacloprid,
  2. Organophosphaten wie Chlorpyrifos, Dimethoat oder Phosmet,
  3. N-methyl-carbamaten wie Pirimicarb
  4. Pyrethroiden wie lambda-Cyhalothrin, Deltamethrin, Cypermethrin oder
  5. anderen Insektiziden (z.B. Chlorantraniliprol, Pyriproxifen, Flonicamid, Spirotetramate).

Die ersten vier Gruppen sind toxikologisch interessant: sie sind alle kumulativ neurotoxisch – d.h. ihre Wirkung auf das Nervensystem addiert sich (siehe EFSA). Einige der potenziellen Ersatzstoffe sind – gemessen an den Grenzwerten ADI und ARfD (siehe Glossar) – wesentlich giftiger als die drei Neonicotinoide, andere Ersatzstoffe erscheinen weniger giftig.

Nicht nur aus Sicht des Verbraucherschutzes ist es interessant zu wissen, auf welche Ersatzstoffe ausgewichen wird (wenn meine These stimmt). Viele Substitute sind nicht selektiv – sie töten also alle Arthropoden (Insekten und Spinnentiere) und sind kaum mit dem integrierten Anbau vereinbar.

Was wurde ausgewertet?

Als Freilandobst habe ich Äpfel, Birnen, Tafeltrauben, Pfirsiche, Nektarinen, Pflaumen, Aprikosen und Süßkirschen ausgewählt. Alles, Obstarten die i.d.R. ungeschält und in größeren Mengen gegessen werden. Zitrusfrüchte wurden absichtlich weggelassen, weil sie ungeschält getestet werden.

Die Proben stammen alle aus der deutschen Lebensmittelüberwachung und wurden nach den folgenden Kriterien ausgewählt:

  1. Alle Proben stammen von Obst aus der EU und aus konventionellem Anbau.
  2. Jede ausgewertete Probe wurde auf die eingeschränkten Neonicotinoide und einer größeren Anzahl Pestizide aus den anderen Klassen untersucht.
  3. Jede Probe wurde auf mindestens 75 Insektizide untersucht.

Insgesamt ergeben sich 11.674 bewertbare Proben mit ca. 11.000 Insektizidnachweisen. Die meisten Proben hatten ihre Herkunft in Deutschland, Italien und Spanien. Die folgenden Abbildungen zeigen die Verteilung der Proben nach Fruchtart und Herkunft.

Abbildung 1: Verteilung der Proben nach Obstart und Jahr

Abbildung 2: Verteilung der Proben nach Herkunft und Jahr

Für die Trendanalyse habe ich alle, von der Lebensmittelüberwachung untersuchten Insektizide in sechs Klassen eingeordnet: 1. eingeschränkte Neonicotinoide, 2. andere Neonicotinoide, 3. Organophosphate, 4. N-methyl-Carbamate, 5. Pyrethroide; Pyrethroidester und 6. andere Pestizide.

Bei acht Lebensmitteln, sieben Jahren (2011-2017) und sechs Stoffgruppen ergeben sich zahlreiche Auswertungsmöglichkeiten. Man kann nach Vorkommen, Gehalten und dem kumulierten Risiko (z.B. Summe % ADI) für jedes Lebensmittel und jede Stoffgruppe schauen. Das ergäbe dann für 7 Jahre über 1000 Ergebnisse. Das sprengt den Rahmen für ein Blog bei Weitem. Deshalb habe ich mich auf folgende Fragen beschränkt:

  1. Hat sich die Häufigkeit von Insektiziden in den acht Obstarten seit 2011 geändert?
  2. Kommen die drei eingeschränkten Neonicotinoide weniger häufig vor?
  3. Welche Veränderungen gab es zwischen den Stoffgruppen?
  4. Wie haben sich die Top-Insektizide im Obst über den Zeitraum verändert?
  5. Sind die Risiken für die VerbraucherInnen gestiegen oder gesunken?

Ergebnisse

Frage: Hat sich die Häufigkeit von Insektiziden in den acht Obstarten seit 2011 geändert?

Die Auswertung der 11.674 Proben zeigt über die 7 Jahre ein fast unverändertes Vorkommen an Insektiziden in den 8 Obstarten aus der EU. Etwa 56% (+/-1%) der Proben enthalten Rückstände von Insektiziden. Nur im Jahr 2015 war der Anteil etwas geringer (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Vorkommen von Insektiziden in acht Obstarten aus der EU (einschließlich Deutschland)

Frage: Kommen die drei eingeschränkten Neonicotinoide weniger häufig vor? Welche Veränderungen gab es zwischen den Stoffgruppen?

Bei den eingeschränkten Neonicotinoiden hat es keine Veränderung gegeben. Organophoshat Insektizide sind aber in ihrem Vorkommen sehr stark zurückgegangen. Diese „Lücke“ wurde von anderen Neonicotinoiden, Pyrethoiden; Pyrethroidestern und anderen Insektiziden gefüllt (siehe Abbildung).

Abbildung 4: Anteil verschiedener Stoffgruppen an allen Rückständen von Insektiziden

Frage: Wie haben sich die Top Insektizide über den Zeitraum verändert?

Um diese Frage zu beantworten, wurden die Anteile der Top 6 Insektizide aus dem Jahr 2011 und dem Jahr 2017 (zusammen n= 10) an allen Nachweisen ermittelt. Diese 10 Insektizide stellten 2011 ca. 60% aller Insektizidnachweise in den acht Obstarten aus der EU. 2017 stellten sie ca. 70% aller Insektizidnachweise. Chlorpyrifos ist als Rückstand fast verschwunden. Chlorantraniliprol, Acetamiprid und Deltamethrin werden dafür sehr viel häufiger nachgewiesen.

Abbildung 5: Top 10 Insektizide in acht Obstarten aus der EU

Die beiden Neonicotinoide Clothianidin und Thiamethoxam (beide werden als Thiamethoxam nachgewiesen) spielten als Rückstände im bewerteten Obst eine geringere Rolle. Sie sind in keinem Jahr unter den Top Insektizidrückständen.

Frage: Sind die Risiken für die VerbraucherInnen gestiegen oder gesunken?

Um diese Frage zu beantworten habe ich anhand der Verzehrsmengen (EFSA Primo), der Rückstände und mit dem jeweiligen ADI Wert (EC Datenbank) für jeden Nachweis das chronische Risiko ermittelt (% ADI für die empfindlichste Verbrauchergruppe).

Für alle Insektizide in einer Probe wurde die Summe (Summe % ADIInsektizide) gebildet.

Für die einzelnen Fruchtarten und Jahre wurden dann Mittelwert, Standardabweichung und der Standardfehler berechnet. Für eine bessere Übersichtlichkeit habe ich die Ergebnisse in zwei Diagrammen dargestellt (Achtung: unterschiedliche Skalierung!).

An den Diagrammen kann man gut erkennen, dass sich das chronische Risiko durch Insektizide seit 2011 verringert hat. Der Verzicht auf Chlorpyrifos ist hier der maßgebliche Treiber. Dieser hochtoxische Wirkstoff (ADI Wert: 0,001 mg/kg Körpergewicht) erzeugte häufig hohe Rückstände.


Abbildung 6: Kumulatives chronisches Risiko durch Insektizide in EU Obst
Abbildung 7: Kumulatives chronisches Risiko durch Insektizide in EU Obst

Die Bewertung der akuten Risiken wurde hier nicht dargestellt, aber auch hier muss es zwangläufig Verringerungen gegeben haben, weil die akuten Referenzdosen (ARfD) der Ersatzstoffe für Chlorpyrifos wesentlich höher sind (höhere Dosis um einen Schaden zu verursachen = ungiftiger [inverse Beziehung]). 

Fazit und Ausblick

Meine These, dass die Beschränkung der drei Neonicotinoide die Rückstandssituation im Freilandobst verändert, hat sich nicht bestätigt. Meine Erfahrung, dass ein Wirkstoff nach einem quasi Verbot häufig mit anderen Wirkstoffen ersetzt wird, hat sich aber bestätigt. Chlorpyrifos wurde 2016 als Risiko für VerbraucherInnen anerkannt und die Rückstandshöchstgehalte für Obst stark abgesenkt. Diese Absenkung kam einem Verbot gleich und die Produzenten wechselten zu anderen Wirkstoffen. Obwohl sich das Vorkommen von Insektiziden anteilig nicht verringert hat, ist das chronische Risiko für die VerbraucherInnen gesunken.

Rückstände von Fungiziden, Wachstumsregulatoren und Herbiziden wurden für den Artikel nicht bewertet. Das kumulative Risiko ist also potenziell höher als hier dargestellt.

Nicht erfasst wurden zudem bestimmte illegale Anwendungen von Insektiziden wie Matrine. Dieses pflanzliche Alkaloid wird unter Düngemittel gemischt und dann als „Dünger“ bzw. Pflanzenstärkungsmittel verkauft. Dieses Vorgehen ist illegal. Bisher untersuchten die Überwachungsämter keine Rückstände vom Matrine, deshalb ist nicht klar wie stark Lebensmittel damit belastet sind. Das ist aber nur eine Frage der Zeit, bis die Überwachung nachzieht. Private Labore sind bereits in der Lage den Stoff zu testen und die Bio-Branche stellt z.B. schon sicher, dass keine illegalen Anwendungen stattfinden.