Einmischen lohnt sich

Immer wieder werde ich gefragt, was sich bezüglich Pestizidrückständen im Essen in den letzten Jahren verändert hat. Deshalb an dieser Stelle ein Rückblick auf ein langes Thema: unsichere Höchstgehalte von Pestiziden in Lebensmitteln und ein Plädoyer für mehr Engagement.

Vor etwa 10 Jahren habe ich in „The Myth of Safe Fruits and Vegetables“ für PAN Germany das erste Mal das Thema unsichere Rückstandshöchstgehalte angesprochen. Eine komplette Auswertung aller Rückstandshöchstgehalte auf ihre Sicherheit [1] führte ich 2008 zusammen mit Greenpeace Deutschland und Global2000 durch.

Diese Veröffentlichung (link zum pdf) kam zum 1. September 2008 heraus, dem Tag der Harmonisierung aller Höchstmengen in der EU. Nur knapp zwei Wochen nach unserer Veröffentlichung traf sich das zuständige Komitee der EFSA und kam zum gleichen Schluss wie wir. Plötzlich hieß es:

In ihrer Stellungnahme vom 15. September 2008 […] zog die Behörde den Schluss, dass bei den derzeitigen Rückstandshöchstgehalten […] ein Risiko besteht, dass die annehmbare Tagesdosis (ADI) und die akute Referenzdosis (ARfD) für eine oder mehrere Verbrauchergruppen überschritten werden. Deshalb ist es angezeigt, die geltenden Rückstandshöchstgehalte für diese Kulturen zu senken.“ [2]

Ein Jahr später wurden daraufhin viele von uns kritisierte Rückstandshöchstgehalte (RHG) heruntergesetzt.

Im Jahr 2013 – zum fünften Jahrestag der Harmonisierung überprüfte ich im Auftrag von Greenpeace nochmal alle Rückstandshöchstgehalte. Die Auswertung (link zum pdf) zeigte, dass für 23 sehr bedenkliche Pestizide viele Höchstgehalte so herabgesetzt wurden, dass sich die Anzahl unsicherer Höchstgehalte stark verringerte (siehe Abbildung).

Unsichere_RHG_2013

Abbildung: Wirkstoffe mit fünf oder mehr unsicheren Höchstgehalten im Jahr 2008 im
Vergleich zum Jahr 2013 (aus Neumeister 2013)

Unsichere Höchstgehalte gab es 2013 noch immer (und gibt es noch immer siehe Erlaubte Mengen von nikotin-ähnlichen Pestiziden (Neonicotonoide) in Lebensmitteln gefährlich hoch). Nach und nach wurden (z.b. Bitertanol) und werden aber weitere von uns kritisierte Höchstgehalte herabgesetzt.

Die EFSA [3] bzw. die Europäische Kommission hat erst kürzlich Überschreitungen der gesundheitlichen Grenzwerte für Thiacloprid zugegeben. In der Verordnung zur Absenkung [4] heißt es: “Für Thiacloprid legte die Behörde eine mit Gründen versehene Stellungnahme (…) vor. Bezüglich der RHG für Brombeeren, Grünkohl, grünen Salat und Kraussalat stellte sie ein Risiko für die Verbraucher fest. Daher sollten diese RHG gesenkt werden.”

In den letzten sieben Jahren wurden durch das Engagement der Zivilgesellschaft viele unsichere Höchstmengen herabgesetzt. Es gibt trotzdem noch vieles tun:

  • der Anteil pestizidfreier konventioneller Lebensmittel sinkt immer weiter;
  • bei regelmäßigen Überschreitungen der gesetzlichen Limits werden diese einfach angehoben;
  • die Bewertung des chronischen Risikos basiert auf einer starken Unterschätzung der möglichen Aufnahme von Pestiziden;
  • Mehrfachbelastungen werden immer noch nicht berücksichtigt, obwohl schon viele Erkenntnisse über additive Wirkungen bekannt sind und eine Regulierung relativ einfach möglich wäre,
  • insgesamt werden neue Erkenntnisse sehr langsam rechtlich umgesetzt.

Bei anderen Schadstoffen (z.B. Schwermetalle, Mineralölrückstände) ist die Rechtslage noch viel schlechter. Für viele Schadstoffe gibt es keine gesetzliche Grenzen, obwohl sie wissentlich bei der Produktion und/oder Weiterverarbeitung/Verpackung von Lebensmitteln eingebracht werden.

Wenn niemand kontinuierlich auf das Versagen des staatlichen Verbraucherschutzes hinweist, können z.B. durch TTIP und andere Abkommen, Fortschritte rückgängig oder unmöglich gemacht werden.

Meine lange Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit kleineren und größeren Organisationen hat immer wieder gezeigt: Einmischen, auf Probleme hinweisen, lohnt sich. Es ist mühsam und erscheint oft aussichtslos. Aber was ist die Alternative? Wem nicht gefällt, wie Verbrauchschutzpolitik gemacht wird, muss sich einmischen. Und wenn es nur mit einer Spende ist.

Quellen und Fußnoten

[1] Sicherheit bedeutete in diesem Fall, dass bei Rückständen in Höhen des erlaubten Höchstgehalts die gesundheitlichen Grenzen (ADI & ARfD) nicht überschritten werden.

[2] Verordnung (EG) Nr. 1097/2009 der Kommission vom 16. November 2009 zur Änderung von Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Rückstandshöchstgehalte für Dimethoat, Ethephon, Fenamiphos, Fenarimol, Methamidophos, Methomyl, Omethoat, Oxydemeton-methyl, Procymidon, Thiodicarb und Vinclozolin in oder auf bestimmten Erzeugnissen. Amtsblatt der Europäischen Union L 301/6 vom 17.11.2009

[3] EFSA Journal 2014; 12 (3):3617

[4] VERORDNUNG (EU) 2015/1200 der Kommission vom 22. Juli 2015 zur Änderung der Anhänge II und III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Höchstgehalte an Rückständen von Amidosulfuron, Fenhexamid, Kresoxim-methyl, Thiacloprid und Trifloxystrobin in oder auf bestimmten Erzeugnissen. Amtsblatt der Europäischen Union  L 195/1 vom 23.07.2015