Schadstoffe im Essen – Defizite bei der Regulierung

Blogreihe:  Schadstoffe im Essen – Defizite bei der Regulierung

In vielen meiner Artikel habe ich anhand von Fallbeispielen Defizite bei der Regulierung von Schadstoffmengen im Essen dokumentiert. Die kommende Artikelserie wird sich systematischer mit diesen Defiziten und deren Ursachen beschäftigen. Dabei werden die einzelnen gesetzlichen Grundlagen, die es auf EU Ebene gibt, analysiert und bewertet. Zum Abschluß der Artikelserie wird es eine Zusammenfassung und Vorschläge zur Verbesserung geben.

Dieser erste Artikel ist die Einführung ins Thema. Er erklärt kurz über welche Wege Schadstoffe ins Essen kommen, wie man sie grundsätzlich regulieren kann und welche Bewertungskriterien ich anlegen werde um die einzelnen Verordnungen zu bewerten.

1     Wie kommen Schadstoffe ins Essen?

Schadstoffe gelangen über viele Wege in unsere Lebensmittel. Pestizide werden u.a direkt auf Obst und Gemüse gespritzt; Tierarzneimittel werden den zukünftigen Lebensmitteln verabreicht, Weichmacher, Mineralöle, Biozide und andere Stoffe wandern von Verpackungen in die Lebensmittel. Andere Schadstoffe wurden und werden durch Industrie, Verkehr, Abfälle und Unfälle (z.B. Tschernobyl) in die Umwelt (Luft, Boden, Abwässer) gebracht und gelangen von dort in die Lebensmittel. Viele landwirtschaftliche Betriebsmittel (z.B. Düngemittel und Futtermittelzusatzstoffe) enthalten stark giftige Verunreinigungen, die sich auch in Lebensmitteln wiederfinden. Schadstoffe entstehen aber auch bei der Lagerung (z.B. einige Mykotoxine), Herstellung und der Konservierung (z.B. PAKs, Acrylamid, Furan) von Lebensmitteln. Auch die Natur bringt einige Gifte (z.B. Muschelgifte, Atropine, Fusarientoxine) hervor – ob diese relevant werden/sind, liegt aber meist am Menschen. Manchmal ist nicht (gleich) klar, woher neu entdeckte Schadstoffe (z.B. Perchlorat/Chlorat) stammen, die Anzahl der möglichen Quellen ist zu groß.

Insgesamt kann man von mindestens 500 -800 Chemikalien ausgehen, die regelmäßig und vor allem durch menschlichen Einfluss in unseren Lebensmitteln vorkommen.

2     Regulierung von Schadstoffen

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten Schadstoffe in Lebensmitteln behördlich zu regulieren:

  1. man kann gesetzliche Höchstgehalte festlegen und/oder
  2. man kann den Eintrag in das Produktionssystem z.B. über Zulassungen oder Verbote/Gebote (z.B. Verwendung von Abfällen in der Landwirtschaft) regulieren.

Beide Ansätze werden – auch in Kombination – verfolgt:

Bei Pestiziden gibt es beispielsweise eine EU-weite Zulassung (Wirkstoffe), durch die sich die Anzahl der verfügbaren Wirkstoffe beschränkt. Die eingesetzten Mengen werden behördlich – jenseits der Anwendungsgebote für das einzelne Produkt – nicht beschränkt, aber es gibt auf nationaler Ebene eine Indikationszulassung (spezifische Zulassung für landwirtschaftliche Kulturen) und es gibt zahlreiche weiche Instrumente zur Pestizidreduktion. Für alle Pestizide gibt es außerdem gesetzlich festgelegte Höchstmengen – diese beschränken das Vorkommen von Einzelstoffen in Lebensmitteln. Die kontrolliert biologische Landwirtschaft wäre ein Beispiel für eine „Input“ reduzierte Produktionsform. Dort dürfen die meisten synthetischen Pestizide und auch konventionelle Mineraldünger nicht eingesetzt werden, die Futtermittelzusatzstoffe sind stärker reguliert und bei der Weiterverarbeitung von Lebensmitteln ist eine geringere Anzahl von Zusatzstoffen erlaubt (siehe Öko-Verordnung).

Für Biozide gibt es ebenfalls eine Zulassung, aber gesetzliche Höchstmengen für deren Rückstände in Lebensmitteln werden nur im Einzelfall festgelegt. Dasselbe gilt für Futtermittelzusatzstoffe. Für Düngemittel gibt es keine Zulassung, Schwermetallverunreinigungen in Düngemitteln sollen aber EU-weit reguliert werden und die „KontaminantenVerordnung (EC 1881/2006) legt einige Höchstgehalte dafür in einigen Lebensmitteln fest. Tierarzneimittel werden ebenfalls zugelassen und es gibt für einige gesetzlich festgelegte Höchstgehalte (wikipedia: Verordnung EC 470/2009). Zusatzstoffe in Lebensmitteln müssen ebenfalls zugelassen werden und Höchstmengen werden für einige Stoffe festgelegt.

Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht über die gesetzliche Regulierung von Schadstoff- bzw. Rückstandsquellen auf EU Ebene.

Tabelle 1 Gesetzliche Regulierung (EU) von Schadstoff- bzw. Rückstandsquellen

Schadstoff verursachende QuelleZulassungSystematische Festlegung von Höchstgehalten in LebensmittelnVerordnung zur Festlegung von Höchstgehalten in Lebensmitteln
PestizidwirkstoffeJaJaVO396/2005/EC
Pestizidprodukte (Mittel)JaNur für Wirkstoffekeine
Zusatzstoffe für PestizidanwendungenJaNeinkeine
BiozideJaNeinkeine
Biozidprodukte (Mittel)JaNeinkeine
TierarzneimittelwirkstoffeJaZum TeilVO470/2009/EC
Verpackungen (Materialien, die mit Lebensmittel in Kontakt)NeinFür einige Substanzen, die aus Materialien auf Lebensmittel übergehen könnenVO10/2011/EC
Zusatzstoffe in LebensmittelnJaJaVO1333/2008/EC
FuttermittelNeinNeinFür einige Verunreinigungen durch VO 1881/2006/EC
FuttermittelzusatzstoffeJaNeinFür einige Verunreinigungen durch VO 1881/2006/EC
DüngemittelNeinNeinFür einige Verunreinigungen durch VO 1881/2006/EC
Emissionen (Verkehr, Industrie)-NeinFür einige Verunreinigungen durch VO 1881/2006/EC
Pflanzliche Gifte, pilzliche Toxine-Einige Gifte und ToxineFür einige Gifte durch VO 1881/2006/EC

3    Bewertungskriterien

Im Rahmen der Artikelreihe werden die o.g. Verordnungen zur Festsetzung erlaubter Schadstoffmengen im Essen anhand ihres Umfanges und ihrer Qualität bezüglich des Verbraucherschutzes bewertet. Die Schlüsselfragen sind:

  1. Ist eine Risikobewertung gesetzlich gefordert?
  2. Müssen die Ergebnisse einer Risikobewertung per Gesetz berücksichtig werden?
  3. Verlangt das jeweilige Fachrecht den Schutz empfindlicher Verbrauchergruppen?
  4. Wie gut ist die Risikobewertung (siehe Kapitel 1.1)?
    • Berücksichtigt die Risikobewertung empfindliche Verbrauchergruppen?
    • Berücksichtigt die Risikobewertung die Einzelstoffexposition aus verschiedenen Quellen?
    • Wird die stoffliche Gesamtbelastung (Mehrfachbelastung) zu gleich wirkenden Stoffen (z.B neurotoxischen Stoffen) betrachtet?

3.1 Risikobewertung

In Bezug auf Schadstoffe in Lebensmitteln sollte in der Regel ermittelt werden, ob ein Stoff oder eine Gesamtbelastung kurz- oder langfristig Verbraucherinnen schaden kann. Die Risikobewertung betrachtet dafür drei Variablen:

  1. die Gefährlichkeit/Giftigkeit von Stoffen,
  2. die Aufnahme der Substanz/en (Exposition) durch den/die
  3. (sensiblen) VerbraucherIn.

Für die Einschätzung der Gefährlichkeit werden aus Tierversuchen toxikologische Grenzwerte wie ARfD und TDI/ADI abgeleitet (Erklärungen im Glossar und Kritik hier).

Die Aufnahme (Exposition) ergibt sich einerseits durch die Konsumgewohnheiten und andererseits durch die zu erwartenden bzw. realen Rückstandsmengen in den jeweiligen Lebensmitteln und anderen möglichen Quellen. Die Empfindlichkeit einer Person oder einer Personengruppe wird bei manchen staatlichen Risikobewertungen über die Exposition pro Kilogramm Körpergewicht bestimmt. Bei diesen Risikobewertungen ist ein empfindlicher Mensch also ein Mensch, der bezogen auf sein Körpergewicht besonders viel eines bestimmten Lebensmittels isst. Für die Festlegung von erlaubten Pestizidhöchstmengen wurde beispielsweise ermittelt, dass Kinder (bis 16-17 kg) meist die empfindlichste Gruppe sind, weil sie pro Kilogramm Körpergewicht am meisten Obst und Gemüse, aber auch Fleisch essen (siehe Abbildung 1 )

verzehrsmengenprimo

Abbildung 1: Vergleich täglicher Aufnahmemengen zwischen unterschiedlichen Altersgruppen in verschiedenen Ländern (eigene Darstellung aus EFSA PrimoModel).

Krankheit, Alter, Schwangerschaft oder besondere Entwicklungsphasen werden i.d.R. nicht berücksichtigt. Diese Variablen sollen über die Unsicherheitsfaktoren bei der Ableitung von ADI/TDI und ARFD „abgedeckt“ werden.

Ein Stoff kann über mehrere Quellen in den menschlichen Körper gelangen und daher ist es notwendig, die kumulative Belastung durch jeden Einzelstoffs zu bewerten. Wissenschaftlich korrekt wäre es außerdem, würde man die Gesamtstoffbelastung durch alle Stoffe bewerten. Zahlreiche hormonell wirksame Stoffe (z.B. Weichmacher, Parabene, bestimmte Pestizide, PCB) werden täglich aufgenommen. Das gleiche gilt für neurotoxische Stoffe (Blei, bestimmte Pestizide). Eine echte Risikobewertung muss die gesamte potenzielle körperliche (Mehrfach)Belastung betrachten.