Immer höhere Pestizidmengen im Essen erlaubt

Anlässlich der Sendung „betrifft“ des Südwestdeutschen Rundfunks habe ich einen Vergleich der gegenwärtig gültigen Höchstmengen für Pestizide in Lebensmitteln (RHG) mit „historischen“ RHG durchgeführt. Dabei wurden die letzten fünf Jahre betrachtet. Die Ergebnisse zeigen, dass für die Mehrzahl der Lebensmittel die erlaubten Pestizidmengen zum Teil massiv gestiegen sind. Absenkungen gab es in den vergangenen fünf Jahren wesentlich weniger oft. Sie erfolgten vor allem für nicht mehr zugelassene Pestizide und wenig relevante Lebensmittel.

Einer meiner ersten Blogartikel beschäftigte sich mit der immer stärkeren Belastung von konventionell produzierten Lebensmitteln mit Pestiziden. In diesem Artikel zeigte ich auch, dass die gesetzlichen Höchstgehalte ständig angepasst werden. In der Regel passieren Anhebungen der gesetzlichen Limits auf Antrag der Pestizidhersteller und oft dann wenn Überschreitungen der legalen Grenzen zu häufig auftreten. So vermeidet man Ärger mit den Behörden und ggf. Stress mit den Medien.

Schlechte fachliche Praxis in der Landwirtschaft führt zu immer mehr Resistenzen von Schaderregern und Beikräutern, diese Resistenzen führen zu stärkerem Pestizideinsatz und dies wiederum zu höheren gesetzlichen Rückstandshöchstmengen.

In einigen der vergangenen Jahren änderten sich aus den genannten Gründen, sowie aufgrund von Neuzulassungen (neue Indikationen) und Ablaufen von Zulassungen bis zu 40% aller RHG [1].

Im Laufe des Jahres 2014 wurden 1832 Rückstandshöchstgehalte (RHG) angehoben und nur 235 RHG abgesenkt. Im derzeitigen Jahr (bis 17. 11. 2015) wurden bereits 725 RHG angehoben und immerhin 1074 RHG abgesenkt. Von diesen Absenkungen entfallen aber knapp 60% auf Pestizide, die sowieso keine Zulassung mehr in der EU haben. Anhebungen von RHG entfallen hingegen zu fast 100% auf in der EU zugelassene Pestizide. Insgesamt stehen sich 2015 somit – trotz eine höheren absoluten Anzahl von Absenkungen – mehr Anhebungen (712) erlaubter RHG zugelassener Pestizide als Absenkungen (451) gegenüber.

Schaut man auf die Entwicklung der letzten fünf Jahre, liegt bei allen pflanzlichen Lebensmitteln [2] die Summe der erlaubten Pestizidgehalte heute im Mittel rund 20% höher als vor fünf Jahren.

Die folgende Abbildung zeigt die Anzahl der Lebensmittel und wie sich die erlaubten Pestizidmengen verändert haben. Bei nur neun (eher sehr unbedeutenden [3]) Lebensmitteln wurde die erlaubte Pestizidmenge um 15-40% abgesenkt, während bei 54 Lebensmitteln die erlaubte Pestizidsumme 50-100% höher liegt als noch vor fünf Jahren. Unter den Lebensmitteln bei denen die erlaubte Pestizidmengen besonders stark angehoben wurden befinden sich unter anderem: Aprikosen, Himbeeren, Bohnen, Kirschen, Brombeeren, Heidelbeeren Johannisbeeren, Erbsen, Pfirsiche, Spinat und Pflaumen.

RHG_Summe_Vergleich

In der unten stehenden Tabelle 1 sind alle Lebensmittel [2] des Anhangs I der VO 396/2005/EC aufgeführt. Für jedes dieser Lebensmittel wurde die Summe der RHG von Ende Oktober 2010 den heutigen Summen aller [4] RHG gegenübergestellt. Die letzte Spalte zeigt die prozentuale Veränderung.

In den letzten fünf Jahren wurden für weit über 200 Wirkstoffe die RHG geändert (ohne Änderungsspanne von 95-105%). Für etwa 110 Wirkstoffe erhöhte sich die Summe der erlaubten Höchstgehalte (>105% bis über 4000%). Unter den etwa 100 Wirkstoffen für die sich die RHG Summe absenkte (<95% bis 1,4%), befinden sich 61, die keine EU-Zulassung mehr haben. Die meisten Absenkungen zugelassener Pestizide fanden bei Herbiziden und Wachstumsregulatoren statt (n=27). Diese Stoffe sind i.d.R. kaum rückstandsrelevant, da sie meist am Anfang der Anbausaison zum Einsatz kommen.

Stoffe, die nach 2010 eingeführt wurden, werden hier nicht betrachtet, aber für viele dieser Stoffe sind seit der Einführung ebenfalls viele RHG angehoben worden. So wurden für das neue Fungizid Fluopyram (erstmals RHG in 2012) seitdem bereits viermal RHG Änderungen beschlossen.

In der unten stehenden Tabelle 2 sind die Pestizide mit veränderten RHG aufgeführt (ohne Änderungsspanne von 95-105%).

Die Summen der RHG stellen prinzipiell nur einen Indikator für die gesetzliche Lage dar. Für eine bessere Bewertung könnte man als Indikator auch die Ausschöpfung der ADI Werte aufsummieren und vergleichen. Der hier verwendete Indikator zeigt an, dass heute in den meisten Lebensmitteln höhere Pestizidmengen erlaubt sind, als noch vor fünf Jahren. Absenkungen finden vor allem bei Pestiziden statt, die nicht mehr zugelassen sind oder die keine oder kaum Rückstände verursachen.

Die ständige Anhebung von erlaubten Pestizidmengen im Essen muss kritisch betrachtet werden, schließlich erlaubt man damit ohne Not eine immer höhere Belastung der VerbraucherInnen und viele Höchstmengen können schon jetzt nicht als “sicher” betrachtet werden. Wenn Anhebungen von RHG dazu dienen die Beanstandungsquote “problematischer” Pestizide zu senken und damit Verbraucherschutz vorzutäuschen, ist das stark grenzwertig – auch wenn es legal ist.

Tabelle 1:  Aufsummierte RHG von Oktober 2010 und November  2015

Tabelle 2:  Aufsummierte RHG von Oktober 2010 und November  2015

Die Tabelle wurde am 18.12.15 aktualisiert und zur besseren Übersichtlichkeit wurden Änderungen im Bereich 95%-105% weggelassen.

Endnoten

[1] Bezogen auf RHG über dem „limit of detection“.

[2] N=219 (alle in Annex 1 aufgelisteten Lebensmittel pflanz. Herkunft ohne „Sonstige“.)

[3] Im Sinne der verzehrten Menge.

[4] Die Datenbank der EU wird mehrmals jährlich von mir heruntergeladen. Die Mengen beziehen sich jeweils nur auf die zum jeweiligen Zeitpunkt in der Datenbank befindlichen RHG. Die theoretisch erlaubte Menge ist weitaus höher, da durch den Standards-RHG von 0,01 mg/kg jeder Wirkstoff reguliert ist.