Wenn „gut“ auch „schlecht“ sein darf – „Gute landwirtschaftliche Praxis“ – ein irreführender Begriff

Lassen Sie sich von Worthülsen wie „gute landwirtschaftliche Praxis“ nicht in die Irre führen – hier werden Wertsetzungen ins Spiel gebracht, um VerbraucherInnen unnötig hohe Rückstände mundgerecht zu machen.

Im politischen Streit oder um ökonomische Ziele zu erreichen, werden Wörter, Begriffe und Namen oft mit positiven oder negativen Werten besetzt. Dabei geht es immer darum bei den Zielgruppen positive oder auch negative Gefühle zu erzeugen, ihre Werte anzusprechen, zu beeinflussen.

Dafür gibt es viele Beispiele, die Pestizidindustrie wirbt gern mit „modernem Pflanzenschutz“, dabei sind viele ihrer Bestseller 40 oder 50 Jahre alt oder noch älter. Eines unserer Ämter nennt sich Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, obwohl dessen Hauptaufgabe die Zulassung von Pestiziden, Tierarzneimitteln und gentechnisch veränderten Organismen ist. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit klingt eben besser als Bundesamt für Zulassung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln.

Ein Schlüsselbegriff bei der Festlegung von erlaubten Höchstmengen von Pestiziden in Lebensmitteln ist die „gute landwirtschaftliche Praxis“. Bei Industrie und Ämtern kann man es überall lesen: die gesetzlichen Höchstmengen von Pestiziden in unserem Essen basieren auf der „guten landwirtschaftlichen Praxis“.

Gehirnwäsche pur.

Denn in Wahrheit beruhen die gesetzlichen Höchstgehalte auf den höchsten Rückständen aus einer Testreihe von gesetzlich konformen, wirksamen Anwendungen des jeweiligen Pestizids (siehe Blogbeitrag “Warum nicht gleich würfeln?” ). Mit „gut“ hat das nichts zu tun. Es wird dabei ganz und gar nicht berücksichtigt, ob Maßnahmen ergriffen werden, um Schädlinge und Krankheiten zu vermeiden, ob man ggf. biologische Verfahren (z.B. Nützlinge) usw. einsetzen könnte.

Oft ist sogar das Gegenteil der Fall: Höchstgehalte von Pestiziden basieren auf schlechter landwirtschaftlicher Praxis. Wie kommt das?

Landwirte müssen, um Resistenzen bei Schädlingen, Krankheiten und Unkräutern zu verhindern, bei der Schädlingskontrolle die Methoden und Mittel wechseln. Tun sie das nicht, entwickeln sich eben Resistenzen. Gegen die widerstandsfähigen Schaderreger müssen höhere Pestiziddosen eingesetzt werden. Diese höheren Dosen können dazu führen dazu, dass es mehr Überschreitungen der Höchstgehalte gibt und das ist schlecht für das Geschäft aller Beteiligten. Also beantragt der Hersteller oder auch Vertreter der Landwirtschaft höhere Höchstgehalte.

Für diesen Antrag werden wieder Rückstandsergebnisse aus einer Testreihe von gesetzlich konformen, wirksamen Anwendungen mit den höheren Dosen eingereicht und (in der Regel) vom Amt bestätigt.

Besonders gut kann man das an einer Gruppe von Fungiziden beobachten. Die Namen dieser Fungizide enden fast alle mit „strobin[1]“ z.B. Azoxystrobin, Pyraclostrobin etc. Für manche dieser Fungizide werden inzwischen jährlich oder noch öfter die Höchstgehalte angehoben[2], weil die Landwirte zu viel davon einsetzen. Mit „guter“ landwirtschaftlicher Praxis hat das nichts zu tun.

Die VerbraucherInnen bekommen einfach die höhere Dosis verpasst, weil die Höchstgehalte immer den vermeintlichen Notwendigkeiten der Landwirtschaft angepasst werden. Dass diese „Notwendigkeiten“ daraus resultieren, dass viele Betriebe keinen integrierten Pflanzenschutz unter Berücksichtigung vorbeugender Maßnahmen anwenden, wird nicht berücksichtigt.

Fußnoten

[1] Die sogenannten Strobilurine gehören zu den Quinone Hemmern und werden als „High Risk“ für die Resistenzentwicklung eingestuft. Mehr Information und eine Liste resistenter Schaderreger (engl): http://www.frac.info/working-group/qol-fungicides (Species with QoI Resistance (Status Dec. 2012))

[2] Suche nach Azoxystrobin bzw. Pyraclostrobin auf http://ec.europa.eu/sanco_pesticides/public/?event=activesubstance.selection&language=EN