TTIP Und Pestizide Im Essen

TTIP und Pestizide in Lebensmitteln – Teil 1

Die USA und die EU verhandeln über ein Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) und dabei geht es auch um die erlaubten Mengen von Pestiziden in Lebensmitteln. Dieser Artikel stellt dar, worin Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Festlegung von Höchstgehalten für Pestizidrückstände in den USA und der EU bestehen. Ein zweiter Artikel wird sich mit der Codex Alimentarius Commission beschäftigen.

Allgemeines

Rückstandshöchstgehalte dienen nicht dem Verbraucherschutz. Sie beruhen weltweit auf Rückstandsdaten aus einigen vorschriftsmäßigen Anwendungen – der sogenannten „fachlichen Praxis“ (siehe Artikel Wenn “gut” auch “schlecht” sein darf – “Gute landwirtschaftliche Praxis” ein irreführener Begriff). Sie sollen vor allem Rechtssicherheit für den internationalen Handel mit Lebensmitteln gewährleisten. Eine Risikobewertung soll Risiken für VerbraucherInnen ausschließen. Der wesentliche Unterschied zwischen den einzelnen Ländern ist die Art und Weise der Risikobewertung. Wichtig anzumerken ist aber: die Ergebnisse einer Risikobewertung spiegeln sich nicht zwingend in legislativen Entscheidungen wider.

Situation in der EU

Pestizidrückstände in Lebensmitteln werden durch die Verordnung EU 396/2005/EC geregelt. Prinzipiell sind Rückstände aller zugelassenen und nicht-zugelassenen Pestizide in der EU geregelt, da es einen allgemeinen Rückstandshöchstgehalt (RHG) von 0,01 mg/kg gibt, soweit die VO 396/2005/EC nichts Anderes festlegt. Durch die Umsetzung der VO 396/2005/EC wurden bis jetzt (Stand 1. März 2016) etwa 18.200 RHG über der analytischen Bestimmungsgrenze (LOD) festgelegt, 125.000 RHG liegen auf dieser.

Bevor die VO 396/2005/EC im September 2008 die RHG EU-weit harmonisierte, gab es nationale und EU-weite RHG – d.h. für viele Pestizide galten gemeinsame RHG für alle anderen nationale. Durch die unterschiedlichen nationalen RHG kam es immer wieder zu Problemen beim Handel von Lebensmitteln. Die Abschaffung dieser Handelsbarrieren war der Hauptgrund für die EU-Harmonisierung.

Bei der Schaffung der VO 396/2005/EC wurden aufgrund des Engagements einzelner EU Parlamentarier und der Zivilgesellschaft insbesondere durch das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) bestimmte Vorsorgemaßnahmen in die Verordnung integriert. Der allgemeine Rückstandshöchstgehalt (RHG) von 0,01 mg/kg ist ein Beispiel, und bei der Risikobewertung für die Festlegung der RHG müssen „besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen (z. B. Kinder und Ungeborene)“ Berücksichtigung finden. Außerdem soll bei der Bewertung „das mögliche Vorhandensein von Pestizidrückständen aus anderen Quellen als der üblichen Anwendung von Wirkstoffen zu Pflanzenschutzzwecken und ihre bekannten kumulativen oder synergistischen Wirkungen, wenn die Methoden zur Bewertung dieser Wirkungen verfügbar sind“ berücksichtigt werden.

Obwohl die VO 396/2005/EC einige Verbesserungen für den Verbraucherschutz brachte, gibt es aber weiterhin Defizite und Umsetzungsschwierigkeiten.

  1. Die RHG unterliegen selbst keiner Risikobewertung. Bei der Bewertung des chronischen Risikos wird mögliche tägliche Pestizidaufnahme unterschätzt (siehe Artikel Warum nicht gleich würfeln über die Festlegung von Rückstandshöchstgehalten).
  2. Es ist seit mindestens 16 Jahren bekannt, dass bestimmte Stoffe kumulativ wirken, sich also in ihrer Wirkung verstärken können. Bereits 1999 legte die US Umweltbehörde Vorschläge für eine kumulative Risikobewertung für bestimmte Nervengifte vor (EFSA 2014 [1]). Das Stoffe (mindestens) additiv wirken, kann man als wissenschaftlich abgesicherten Kenntnisstand betrachten (siehe auch Kortenkamp 2009), und müsste demnach in die Festlegung der RHG einfließen. Stattdessen wurde die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bezüglich „kumulativer und synergistischer Effekte“ mit Forschung beauftragt. Ein Bericht der EFSA aus dem Jahr 2014 bestätigt zwar, das viele verschiedene Pestizide die gleichen Effekte hervorrufen können (EFSA 2014), aber diese Ergebnisse werden (noch) nicht bei der Festlegung von RHG umgesetzt.
  3. Gar nicht berücksichtigt wird bei der Festlegung von RHG dass die tägliche Aufnahme anderer sehr bedenklicher Stoffe (z.b. Aluminium, Cadmium, Phenole) bereits die gesundheitlichen Grenzwerte überschreiten. Es wird einfach so getan als existiere diese vorhandene Belastung des Verbrauchers nicht.

Situation in den USA

In den USA werden Rückstandshöchstgehalte „tolerances“ genannt. Im Unterschied zur EU gibt es in den USA keinen allgemeinen Rückstandshöchstgehalt – tolerances orientieren sich an der Zulassung und beruhen, wie in der EU auf Rückständen aus vorschriftsmäßigen Anwendungen. Ist die Anwendung eines Pestizids beispielsweise in bestimmten Obstsorten nicht erlaubt, gibt es dafür keine RHG, außer im Fall von Importen für Importware. Daher gibt es für manche Pestizide nur wenige tolerances, für manche sehr viele.

Gesetzliche Grundlage für die Festlegung von RHG ist der Food Quality Protection Act (FQPA) von 1996. Dieser fordert, dass bei der Festlegung von tolerances u.a.:

  • das bei der Betrachtung der Pestizidaufnahme (Exposition) auch alle nicht beruflich bedingten Quellen, wie Trinkwasser, Haushaltanwendungen oder andere Lebensmittel berücksichtigt werden,
  • das ähnliche Effekte von verschiedenen Pestiziden oder Pestizide mit gleichem Wirkmechanismus kumulativ bewertet werden und
  • dass die spezielle Empfindlichkeit von Kindern über einen zusätzlichen Sicherheitsfaktor von 10 berücksichtigt wird, außer es ist bestimmt, dass eine geringere Sicherheitsgrenze für Kinder sicher ist.

Die kumulative Risikobewertung beschränkt sich in den USA auf Pestizidgruppen, die einem gleichen Wirkmechanismus unterliegen. Das ist eine weit engere Interpretation als gegenwärtig von der EFSA vorgeschlagen. Während bei der EFSA verschiedene Stoffe als additiv/kumulativ betrachtet werden, wenn sie den gleichen Effekt (z.B. Zittern) durch eine Wirkung am gleichen „Organ“ (z.B. Nervensystem) aufweisen, muss bei der US EPA die physiologische Wirkungsweise gleich sein (z.B. Änderung des gleichen Enzyms). Hier bietet sich Konfliktpotenzial, wenn es zu Verhandlungen (auch im Rahmen der Codex Alimentarius Commission) über derartig unterschiedliche Ansätze kommen sollte. Laut Auskunft der EU Kommission ist die kumulative Risikobewertung von Pestizidrückständen aber nicht Gegenstand der TTIP Verhandlungen (pers. Mitteilung Vanheusden)[2].

Unterschiedliche Höchstgehalte in EU und USA

Die Risikobewertung der US Umweltschutzbehörde (US EPA) und der EFSA liegt scheinbar nicht sehr weit aus einander. Beide berücksichtigen die besondere Empfindlichkeit von Kindern, die Gesamtexposition zu einem Stoff wird berücksichtigt (wenn auch in unterschiedlicher Qualität![3]) und die EU folgt der USA bezüglich der Bewertung kumulativer Risiken. Bei letzterem scheint die USA weiter zu sein.

Aber wie bereits oben erwähnt: Risikobewertung und legislative Entscheidungen haben nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun. Und so stimmen die meisten EU RHG nicht mit den US tolerances überein. Ein Vergleich von 1.600 EU RHG mit den US . tolerances (52 Pestizide; 90 Lebensmitteln) zeigt, dass 66% der US tolerances über den EU RHG liegen, bei 15 % liegen sind sie gleich, bei 19% sind die EU RHG höher (Abbildung 1).

EU_RHG_US_tolerances

Abbildung 1 Vergleich von 1.611 US tolerances mit EU RHG (Stand 01.03.2016)

Hohe Risiken für europäische Kinder

Ginge man vom Konsumverhalten der europäischen Kinder aus, würden Rückstände in Höhe der US tolerances zum Teil hohe Überschreitungen gesundheitlicher Grenzwerte zu Folge haben. Die akute Referenzdosis (ARfD) für Kinder wäre in ca. 15%[4] der Fälle überschritten.

Tabelle 2 zeigt die höchsten ARfD Überschreitungen, wären in der EU Rückstände in Höhe der US „tolerances“ erreicht.

Tabelle 1: Auswahl an US tolerances bei deren Erreichen die toxikologische Grenzwerte (ARfD) überschritten werden

LebensmittelPestizidUS tolerance mg/kg% ARfD bei Konsum EU KindÜberschreitung-sfaktor
BlumenkohlMethomyl and Thiodicarb718503185
BrokkoliMethomyl and Thiodicarb716307163
OrangeDimethoate*2265227
KiwiPhosmet*25223622
ApfelPhosmet*10217722
BirnePhosmet*10202420
BirneDimethoate*2182118
Endivie; KraussalatDimethoate*2174917
WassermeloneDimethoate*1122212
BirneAzinphos-methyl*1.5136614
BlumenkohlDimethoate*2132213
PfirsichPhosmet*10131813
GemüsepaprikaDimethoate*2126013
PfirsichAzinphos-methyl*2118712
Endivie; KraussalatPyraclostrobin4116612
BrokkoliDimethoate*2116512
BirneFenpropathrin5113811
KohlrabiPyraclostrobin58358
Kopfsalatlambda-Cyhalothrin17177
NektarinePhosmet*56597

Die Werte in der Tabelle sind nicht einmal die höchsten Werte. Für Methomyl & Thiodicarb gilt für alle Blattgemüse (außer Kohle) eine „tolerance“ von 35 mg/kg, das würde bei einigen Salaten zu über 1000fachen Überschreitungen der ARfD führen.

Interessanterweise gehören 14 der 20 in der Tabelle aufgeführten Pestizide zu Stoffen mit gleichem Wirkmechanismus nach US EPA Definition (alles Hemmer des Enzyms Acetylcholinesterase). Diese neurotoxischen Wirkstoffe sind in der Tabelle mit einem Sternchen gekennzeichnet. Insgesamt scheint sich weder die kumulative Bewertung noch die Berücksichtigung der besonderen Empfindlichkeit in den US tolerances wider zu spiegeln. Diese „tolerances“ sind aus europäischer Sicht absolut nicht sicher, wobei hierzu gesagt werden muss, dass die Verzehrsgewohnheiten von US Kindern ggf. von denen der Europäer abweichen.

TTIP: Harmonisierung der Rückstandshöchstwerte in der EU und den USA?

Angesichts der potenziellen Gefährdung scheint eine Harmonisierung auf das schwache „Schutz“niveau der USA nicht tolerierbar.

Eine angestrebte Harmonisierung der Rückstandshöchstwerte mit den USA erscheint auch ausfolgenden Gründen wenig sinnvoll.

  1. Die europäische Union leidet unter einer starken Überproduktion an Obst und Gemüse, so dass eine künstliche Entnahme von Obst und Gemüse vom Markt[5] von der EU finanziert wird. Ein zusätzlicher Lebensmittelimport aus den USA dürfte die Lage noch verschärfen.
  2. Die Transportwege für das meiste frische Obst und Gemüse sind zu lang. Allenfalls bei lagerfähigen Lebensmitteln wie Kartoffeln, Zwiebeln, Äpfeln und Birnen und trockenen Lebensmitteln (Hülsenfrüchte, Getreide, Nüssen etc.) könnte Handel in größeren Mengen stattfinden.
  3. Die EU RHG stellen schon jetzt keine Handelsbarriere dar – jeder, der ein berechtigtes Interesse hat, kann höhere RHG in der EU beantragen (nach Artikel 6 der VO 396/2005/EC). Das wird auch fortlaufend gemacht und diese beantragten, höheren RHG werden i.d.R. auch zugelassen (siehe Artikel “Immer höhere Pestizidmengen im Essen erlaubt“).

Dennoch steht im TTIP Vertragsentwurf eindeutig, dass die Europäische Union und die USA ihre eigenen RHG zum Teil aufgeben sollen und nach Vertragsabschluss festgelegte internationalen RHG der Codex Alimentarius Commission innerhalb von 12 Monate einführen sollen. Dazu im zweiten Teil.

[1] EFSA (2014): Scientific Opinion on the identification of pesticides to be included in cumulative assessment groups on the basis of their toxicological profile (2014 update). EFSA Journal 11(7):3293, 131 pp. doi:10.2903/j.efsa.2013.3293

[2] Persönliche Mitteilung von Veerle Vanheusden, European Commission, DG SANTE – Unit E3 – Sector pesticides residues per e-mail am 2. Juni 2015

[3] Das hier auszuführen sprengt den Rahmen des Artikels.

[4] Die 15% beziehen sich auf die US tolerances für die genügend Informationen für die ARfD Berechnung vorliegen.

[5]Under the exceptional support measures introduced last autumn, figures up to the end of July show that around 793 000 tonnes have been withdrawn from the market using EU support worth roughly € 163 million.” http://ec.europa.eu/agriculture/newsroom/219_en.htm