TTIP und Pestizide in Lebensmitteln – Teil 2

In meinem vorigen Artikel habe ich die EU-Rückstandshöchstgehalte (EU RHG) mit den „tolerances“ der USA verglichen. Angesichts der potenziellen gesundheitlichen Gefährdung der EU VerbraucherInnen wäre eine Harmonisierung mit dem „Schutzniveau“ der USA nicht tolerierbar. Eine angestrebte Harmonisierung mit den USA im Rahmen von TTIP erscheint auch aus anderen Gründen wenig sinnvoll, und unnötig (siehe Artikel).

Die USA können aber ihre sehr hohen Rückstandshöchstgehalte nicht einfach an die der EU anpassen, schließlich sind sie auch über das NAFTA mit Mexiko und Kanada an bestimmte Standards gebunden. Hinzu kommt, dass Rückstandshöchstgehalte für Pestizide auf den Rückstandsdaten aus vorschriftmäßigen Anwendungen basieren. Da in den USA die vorschriftmäßigen Anwendungen anscheinend mehrheitlich sehr viel höhere Rückstände verursachen, können diese nicht ohne weiteres abgesenkt werden.

Eine Lösung, die vorgeschlagen wurde, ist die beidseitige Einführung der Rückstandshöchstgehalte der internationalen Codex Alimentarius Commission (CAC).

Im letzten, öffentlich verfügbaren Entwurf des TTIP Vertrages (pdf zum: TEXTUAL PROPOSAL SANITARY AND PHYTOSANITARY MEASURES [SPS]) steht, dass sowohl die EU als auch die USA Rückstandshöchstgehalte (RHG [1]), die nach Inkrafttreten des Abkommens durch die Codex Alimentarius Commission festgelegt werden, ohne übermäßige Verzögerung übernehmen sollen, außer einer der Handelspartner macht Einsprüche bei der Codex Alimentarius Commission (CAC) geltend.

Die Codex Alimentarius Commission

Die Codex Alimentarius Commission (CAC) ist ein Gremium der UNO unter dem Dach der FAO und WHO. Die CAC besteht aus Regierungsvertretern und in regelmäßigen Versammlungen wird dort über internationale Handelsstandards abgestimmt. In der Regel sollen Standards wie internationale Pestizidhöchstmengen in Lebensmitteln durch Konsens erreicht werden. Sie können aber auch durch Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden [2].

Die fachliche Arbeit, also die Vorschläge für Pestizidhöchstmengen in Lebensmitteln wird durch das Codex Committee on Pesticide Residues (CCPR) geleistet. In diesem Komitee sind sehr viele Hersteller von Pestiziden, aber auch von Lebensmittelkonzernen vertreten. Die offizielle deutsche Regierungsdelegation im CCPR hat beispielsweisen einen Angestellten von BASF als Mitglied [3]. BASF, ein Pestizidhersteller verhandelt dort im Namen Deutschlands über gesetzliche Limits von Pestiziden in Nahrungsmitteln. In der offiziellen us-amerikanischen Regierungsdelegation sind u.a. Angestellte des zweitgrößten Pestizidherstellers der Welt (BayerCropScience), Vertreter des Verbandes der Agrar-Industrie CropLife America und des Getränkeherstellers Coca Cola Company. Die Schweizer Delegation wird von einem Angestellten des Lebensmittelkonzerns Nestlé angeführt.

Daneben sind noch über 30 weitere Vertreter von Pestizidherstellern im Codex Committee on Pesticide Residues (CCPR). Vertreter von nichtstaatlichen Verbraucherschutzorganisationen gibt es nicht im CCPR.

Codex MRL versus EU RHG

Auf der Webseite der Codex Alimentarius Commission kann man eine Datenbank der Codex MRL finden und nach MRLs für einzelne Lebensmittel oder einzelnen Pestiziden (insgesamt 196) suchen.

Für 53 Lebensmittel und 170 Pestizide habe ich insgesamt 1.753 Codex MRL mit den EU RHG (Stand 19.03.2016) verglichen.

Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse des Vergleichs der 1.753 Rückstandshöchstgehalte (RHG).

Abb_1_Vergleich_cac_MRL

Abbildung 1 Vergleich von CAC Höchstgehalten mit EU RHG (Stand 19.03.2016)

Die Abbildung zeigt, das 40% der verglichenen CAC Höchstgehalte über denen der EU liegen. Die Unterschiede sind teilweise dramatisch, insbesondere bei hochgiftigen Stoffe.

Für einige der giftigsten Pestizide (gemessen am ADI bzw. ARfD Wert, akuter Giftigkeit) gelten international extrem hohe MRL – wenn es keine anderen nationalen Bestimmungen gibt [4]. So dürfen Reis und Weizen bis zu 7mg Dichlorvos (DDVP) pro Kilogramm enthalten. Tafeltrauben dürfen bis 0,5mg Parathion-methyl pro Kilogramm enthalten. Für das langlebige, sich im Körper anreichernde Endosulfan gelten 1mg/kg für Gurken. In der EU gilt für Dichlorvos und Parathion-methyl die analytische Bestimmungsgrenze als Grenze für alle Lebensmittel. Für Endosulfan gilt in der EU bei Obst ebenfalls die analytische Bestimmungsgrenze als gesetzliches Limit.

Rückstände in dieser Höhe könnten zu akuten Vergiftungen bei bestimmten Verbrauchergruppen führen (siehe Tabelle 1). Für diese Tabelle habe ich mit dem EFSA Verzehrsmengenmodell (PRIMO) für einige der giftigsten Pestizide die Ausschöpfung der akuten Referenzdosis berechnet.

Tabelle 1: Auswahl an CAC Höchstgehalten bei deren Erreichen die toxikologische Grenzwerte (ARfD) überschritten werden

LebensmittelPestizidCodex MRL mg/kg% ARfD bei Konsum durch EU Kind und Erreichen des MRLÜberschreitungsfaktor
*neurotoxische Wirkstoffe mit gleichem Wirkmechanismus
WeizenDichlorvos*7505750.6
ReisDichlorvos*7441244
TomatenCarbaryl5290729
GemüsepaprikaChlorpyrifos*10251925
TomatenMethomyl and Thiodicarb1232623
ApfelPhosmet*10217722
BirnePhosmet*10202420
BirneAzinphos-methyl*2182118
KartoffelnPhorate*0.3153715.5
TafeltraubenPhosmet*10145614.5
PfirsichPhosmet*10131813
PflaumenMethomyl and Thiodicarb1131613
PfirsichAzinphos-methyl*2118712
BirneFenpropathrin5113811
OrangeDimethoate*59289
BirneDimethoate*19119
SalatCarbendazim5672.66.7
KirschenCarbendazim106116.1
GurkenEndosulfan1292.42.9
ReisMethamidophos*0.62522.5
SpinatSpinetoram81801.8

Sollten Rückstände in Höhe der Codex RHG vorkommen, wird die akute Referenzdosis massiv – 1,8- bis 54fach überschritten, und sollten diese RHG bei einer Revision durch die Codex Alimentarius Comission ohne Einspruch der EU erneuert werden, würden sie künftig auch in der EU gelten.

Die Einführung dieser Codex Alimentarius RHG würde meiner Meinung nach gegen europäisches Lebensmittelrecht verstoßen, welches das Inverkehrbringen von gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln verbietet. Denn die hohen RHG erlauben die Einfuhr und Produktion von Lebensmitteln mit Belastungen, die weit über der toxikologischen Grenze für bestimmte Verbrauchergruppen liegen.

Dass nur Codex MRL, die „nach Inkrafttreten“ des TTIP Abkommens festgelegt werden würden, beidseitig eingeführt werden sollen, ist wenig beruhigend. Die extrem hohen MRL von Dichlorvos (DDVP) in Reis und Weizen wurden erst 2013 abgestimmt – obwohl es den zuständigen Behörden weltweit hinreichend bekannt sein dürfte, dass diese MRL nicht sicher sind – schon gar nicht in Ländern, wo Reis ein Grundnahrungsmittel ist.

Nach Unterzeichnung des TTIP Abkommens hätte jedenfalls nicht mehr die Europäische Kommission das alleinige Hoheitsrecht über die Menge erlaubter Pestizidrückstände in Lebensmitteln, sondern eine internationale Kommission. Belange des Verbraucherschutzes würden immer „weiter“ wegdelegiert und dadurch immer weniger transparent. Die Europäische Union – die den TTIP Vertrag mit den USA aushandelt – hat lediglich ein Recht auf Einspruch. Prinzipiell werden Codex MRL auch schon jetzt von der EU Kommission berücksichtigt, wenn die Risikobewertung ihrer Einführung nicht widerspricht. Deshalb ist der Textabschnitt zu Pestiziden im TTIP Entwurf überflüssig. Durch TTIP ergäbe sich aber eine neue Verbindlichkeit. Denn nach TTIP kann sich der Druck auf die Vertreter der EU in der Codex Alimentarius Commission stark erhöhen, wenn es ein bestimmtes Handelsinteresse seitens der USA gibt. Die Autonomie der EU wird damit geschwächt.

Fußnoten

[1] Englisch: MRL = maximum residue levels

[2]The Commission shall make every effort to reach agreement on the adoption or amendment of standards by consensus. Decisions to adopt or amend standards may be taken by voting only if such efforts to reach consensus have failed.” ftp://ftp.fao.org/codex/Publications/ProcManuals/Manual_23e.pdf

[3] ftp://ftp.fao.org/codex/meetings/CCPR/ccpr47/Draft%20Report/

[4] Viele Entwicklungsländer führen Codex MRL ein, weil eine eigene Risikobewertung nicht existiert.