Die Pestizidbelastung steigt immer mehr

Die Pestizidbelastung steigt immer mehr

Die Beanstandungsquote, also der Anteil der Überschreitungen von gesetzlichen Höchstgehalten stellt für viele die Messlatte der Rückstandsbelastung dar. Politisch gilt sie als Indikator für erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Verbraucherschutz. Beides ist falsch.

Eine der ersten Fragen, die ich bekomme, wenn ich für jemanden Ergebnisse von Pestizidtests in Lebensmitteln auswerte, lautet: „Wurden die Grenzwerte überschritten?“ Damit sind die gesetzlich erlaubten Höchstgehalte gemeint. Sie stellen für viele immer noch die Messlatte der Rückstandsbelastung dar und gelten politisch als Indikator für erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Verbraucherschutz. Beides ist falsch.
Muss man nur genau hinhören und hinsehen, um das zu wissen. Werden sehr viele Höchstgehalte für Pestizide überschritten, stellen sich Politiker, politisch motivierte Institutionen und Produzenten hin und man hört: „Die gesetzlich festgelegten Höchstgehalte sind keine toxikologischen Grenzwerte. Sie dienen der Überprüfung der Guten landwirtschaftlichen Praxis.“ Ist die Anzahl der Überschreitungen aber gering hört man: „Das ist ein Erfolg unserer Verbraucherschutzpolitik.“ Die Pestizidindustrie veröffentlicht bei einer zurückgehenden Beanstandungsquote sogar Pressemitteilungen wie: „Immer weniger Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln“.

Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ignoriert die Belastung unterhalb der gesetzlichen Höchstmengen und leitet aus einer niedrigen Beanstandungsquote ab: „Die Belastung von Lebensmitteln mit Pflanzenschutzmittelrückständen bleibt auf einem niedrigen Niveau.“
Das ist etwa so, als würde man die allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 250km/h anheben und dann aufgrund weniger Geschwindigkeitsüberschreitungen behaupten, alle AutofahrerInnen fahren langsamer.

Frisches_Obst_CVUA_01_14

Denn in Wahrheit taugen Daten zu Über- oder Unterschreitungen der gesetzlich erlaubte Höchstgehalte für fast gar nichts. Im Jahr 2011 gab es beispielswiese es sehr viele Überschreitungen von Glyphosat in getrockneten Linsen (fast 100% der Proben). Im darauffolgenden Jahr 2012 noch eine, weil die Höchstmengen für Linsen von 0,1 mg/kg auf 10 mg/kg angehoben wurden . Das ist kein Einzelfall. In den Jahren 2012 und 2013 gab es in Deutschland viele Überschreitungen durch zwei bis dahin eher unbekannte Stoffe (Benzalkoniumchlorid [BAC] und Didecyldimethylammoniumchlorid [DDAC]) und prompt wurde 2014 die Höchstmengen auf das hundertfache angehoben .
Jährlich werden ca. 40% aller gesetzlichen Höchstgehalte verändert (1). Auf Initiative der Lebensmittel- und der Pestizidindustrie werden oft auch genau die Höchstgehalte angehoben, die für Überschreitungen sorgen. So wurde die hundertfache Anhebung der erlaubten Glyphosatgehalte in Linsen von Monsanto Europe, einem Glyphosathersteller beantragt . Auch bei Rückständen durch das Insektizid Acetamiprid kam es 2012/13 zu einer hohen Anzahl von Höchstmengenüberschreitungen und seitdem wurden durch Nisso Chemical Europe GmbH dreimal Anhebungen für eine Vielzahl von Höchstgehalten beantragt .
Anhebungen von Höchstmengen auf Antrag von Pestizidherstellern sind an der Tagesordnung. Die nachstehende Tabelle zeigt nur einige Beispiele aus den Jahren 2014 und 2015.

#PestizidLebenmittelAlter RHG (mg/kg)Beantragter RHG (mg/kg)Antragsteller (alles Hersteller von Pestiziden)Quelle
1TebuconazoleGurken, Einlegegurken0.20.5Oxon Italia S.P.AEFSA Journal 2015;13(1):4000
2FenpyrazamineAprikose0.015Sumitomo ChemicalsEFSA Journal 2014;12(3):3619
3FenpyrazamineKirschen0.014Sumitomo ChemicalsEFSA Journal 2014;12(3):3619
4FenpyrazaminePflaumen0.013Sumitomo ChemicalsEFSA Journal 2014;12(3):3619
5IsopyrazamTomaten0.010.5Syngenta FrankreichEFSA Journal 2015;13(1):3994
6IsopyrazamKürbisgewächse mit essbarer Schale (Gurken, Zucchini etc.)0.060.4Syngenta FrankreichEFSA Journal 2015;13(1):3994
7CyazofamidAubergine0.010.2ISK BiosciencesEFSA Journal 2015;13(1):3993
8FluopyramEndivie/Scarole0.11.5BayerCrop ScienceEFSA Journal 2014;12(12):3947
9ThiramAvocado0.115 (optional 10)Taminco N.VEFSA Journal 2015;13(1):4003
10AcetamipridBananen0.010.4Nisso Chemical Europe GmbHEFSA Journal 2014;12(9):3824
11TrifloxystrobinStrauchbeeren0.023BayerCrop ScienceEFSA Journal 2014;12(7):3751
12SpirotetramatOliven für Öl0.14BayerCrop ScienceEFSA Journal 2014;12(6):3739
13EthephonTafeltrauben0.71.5BayerCrop ScienceEFSA Journal 2014;12(5):3698
14EthephonOliven57BayerCrop ScienceEFSA Journal 2014;12(5):3699
15PendimethalinMohrrüben, Karotten0.20.7BASF SEEFSA Journal 2014;12(4):3620
16Fenamidonemehr als 24 Gemüsesorten0,02 bis 20,15 bis zu 70BayerCrop ScienceEFSA Journal 2014;12(3):3627
17FormetanateErdbberen0.010.4Gowan Comercio Internacional e Servicos LtdEFSA Journal 2014;12(3):3596
18MalathionZitrusfrüchte0.022CheminovaEFSA Journal 2014;12(2):3588
19ChromafenozideÄpfel0.30.6Arysta LifeScienceEFSA Journal 2014;12(2):3569
20ChromafenozideTafeltrauben0.011.5Arysta LifeScienceEFSA Journal 2014;12(2):3570
21tau-fluvalinatemehr als 15 Obst- & Gemüsesorten0,01 bis 0,30,07 bis 1Makhteshim-Agan Holding BVEFSA Journal 2014;12(1):3548

Will man Aussagen über Trends in der Rückstandsbelastung treffen, ist die der Anteil von Überschreitungen der Höchstgehalte (Beanstandungsquote) völlig untauglich. Denn ein gesetzlich festgelegter Höchstgehalt ist nichts weiter als ein zum Probenzeitraum gültiger Rechtsstand. Ein Jahr darauf oder zuvor war/ist dieser Rechtsstand oft anders.
Die einzigen verlässlichen Parameter um Trends abzulesen, wären Pestizidkonzentrationen, die Anzahl der aufgefundenen Wirkstoffe und die mittlere Giftigkeit. Diese Parameter muss man dann natürlich an immer denselben Fruchtarten messen.

Frisches_Gemuese_CVUA_01_14

Aber auch ein Blick auf die Nachweisquote zeigt den stetigen Anstieg von Nachweisen.
Verfolgt man die Daten aus einem der besten staatlichen Labore, dem CVUA Stuttgart bekommt man zu einer ganz anderen Einschätzung der Datenlage als Industrie und Behörden. Nur noch 5% des konventionell produzierten Obstes und 9% des konventionell produzierten Gemüses waren 2014 ohne Nachweise (siehe Abbildungen).

Quellen und Erläuterungen

BayerCropScience (2015): Immer weniger Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln. Mitteilung vom 05.02.2015 auf http://agrar.bayer.de/Aktuelles/Nachrichten/2015/01/Weniger%20PSM-Rueckstand.aspx?category=aktuelles.

BVL (2015): Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln konstant auf niedrigem Niveau. BVL stellt Bericht für 2013 vor – Einzelne Lebensmittelgruppen unterschiedlich betroffen. Presseinformation des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vom 13.04.2015.

Commission Regulation (EU) No 441/2012 of 24 May 2012 amending Annexes II and III to Regulation (EC) No 396/2005 of the European Parliament and of the Council as regards maximum residue levels for bifenazate, bifenthrin, boscalid, cadusafos, chlorantraniliprole, chlorothalonil, clothianidin, cyproconazole, deltamethrin, dicamba, difenoconazole, dinocap, etoxazole, fenpyroximate, flubendiamide, fludioxonil, glyphosate, metalaxyl-M, meptyldinocap, novaluron, thiamethoxam, and triazophos in or on certain products. Official Journal of the European Union. L 135/4. 25.5.2012.

Verordnung (EU) Nr. 1119/2014 der Kommission vom 16. Oktober 2014 zur Änderung des Anhangs III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Höchstgehalte an Rückständen von Benzalkoniumchlorid und Didecyldimethylammoniumchlorid in oder auf bestimmten Erzeugnissen. OJ L 304, 23.10.2014, p. 43–74

EFSA (2012): Modification of the existing MRL for glyphosate in lentils. EFSA Journal 10(1):2550. European Food Safety Authority. doi:10.2903/j.efsa.2012.2550.

Siehe: EFSA Journal 2013;11(12):3506; EFSA Journal 2012;10(12):3051; EFSA Journal 2014;12(9):3824 [20 pp.]

(1) Veränderungen der Höchstgehalte: Bezogen auf festgelegte Höchstgehalte über der analytischen Bestimmungsgrenze. Ohne Doppelnennungen durch Gruppen.